Europe Central (UA)

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Mitteleuropa, Schaltstelle Europa, Telefonzentrale Europa – im Titel von William T. Vollmanns Roman „Europe Central“ schwingen alle diese Bedeutungen des auch für die deutsche Ausgabe verwendeten englischen Originaltitels mit.

Durch die schwarze Bakelit-Hörmuschel vernimmt man eine Vielzahl von Erzählerstimmen. So wird man selbst zum Spion, der belauscht, wie berühmte, berüchtigte und auch anonyme Menschen subjektiv ihre Erlebnisse in den Jahren von 1906 bis 1975 schildern. Dieser Handlungszeitraum deckt sich mit den Lebensdaten Dmitri Schostakowitschs, dessen Werke immer wieder wie ein apokalyptischer Soundtrack zwischen den Erzählungen zu hören sind. Der ganze Roman ein zur Symphonie gewordenes Stimmengewirr, das multiperspektivisch ein Panorama des 20. Jahrhunderts öffnet.

Im Zentrum stehen die beiden großen mörderischen totalitären Systeme – Hitlertum und Stalinismus –, die Vollmann gegenüberstellt und moralisch gleichsetzt. Sein durch jahrelanges Quellenstudium und tiefschürfende Recherchen in Biografien, historischen Arbeiten, Tagebüchern und Briefen angehäuftes Faktenwissen verflicht der Autor mit fiktionalen, mitunter surrealen Momenten und schafft dadurch eine beklemmende, fast unheimliche Atmosphäre. Ausgehend von den Mikrokosmen der verschiedenen Erzähler untersucht Vollmann die grundsätzlichen Bedingungen menschlicher Existenz in Extremsituationen.

Nicole Schneiderbauer bringt den ausufernden, überbordenden und grandiosen 1000 Seiter zur Uraufführung.

Europe Central (UA) nach einem Roman von William T. Vollmann

Mit: Ute Fiedler, Ellen Mayer, Katharina Rehn, Roman Pertl, Patrick Rupar, Karoline Stegemann

Bühne & Kostüm: Miriam Busch, Video: Stefanie Sixt, Musik: Ellen Mayer, Dramaturgie: Kathrin Mergel

Staatstheater Augsburg, 2019

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 Pressestimmen:

„Schneiderbauer komponiert eine dunkel leuchtende Sprachsymphonie. (…) Oft passiert alles gleichzeitig, nie geht dabei die Trennschärfe verloren. Dazu sieht man die Abdrücke der Worte in den Körpern auf der Bühne. Nichts davon ist eins zu eins, nichts ist Bebilderung, es ist vielmehr ein assoziatives Spiel.“ Süddeutsche Zeitung

„Schneiderbauer findet eine Übersetzung von Vollmanns „Europe Central“, die ohne biederes Nachbuchstabieren und simple Illustration auskommt. Stattdessen öffnet sie in Wort, Bild und Klang Assoziationsräume, (…). Das ist die große Stärke dieses vierstündigen Abends, der sich mit seinem Blick in die Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts wie ein Menetekel für die Gegenwart ausnimmt. In Zeiten, da autoritäte Kräfte die Demokratie in Mitteleuropa (und anderswo) massiv bedrohen, trifft Schneiderbauer mitten ins Mark unseres Gemeinwesens.“ Theater der Zeit

„Nicole Schneiderbauer und ihr Team (Miram Busch: Bühne und Kostüme; Stefanie Sixt: Video; Ellen Mayer: Musik) schaffen so ein komplexes, intensives und dichtes Bühnengeschehen und Bühnenerlebnis, in dem Sprache fast greifbar, körperlich wird.“
Donaukurier

„Am Eindrücklichsten gelingt in der Aufführung der mittlere Teil, bei dem es um die Ereignisse im Zweiten Weltkrieg geht. (…) Grau in Grau sind diese beklemmenden Bilder, die auch gut zum Text passen. Die Zuschauer bekommen am Eingang Kopfhörer ausgeteilt. So können die Schauspieler leise flüstern und dennoch voll verstanden werden. “ nachtkritik

„In diesem Setting bestimmen sechs Akteur:innen wortgewaltig das Geschehen, sie wechseln Rolle und Perspektive, sie sprechen gleichzeitig, sie performen, sie musizieren. Sprache und rhythmische Töne überlagern sich, alles ist geschichtet, es entwickelt sich eine komplexe Collage des Unfassbaren. (…)
Die Schauspieler:innen und Musikerin Ellen Mayer leisten Enormes, mit Sprach- und Körpereinsatz lassen sie das sperrige Stück gelingen, nehmen den Raum ein, fügen die Fragmente zusammen.«
a3kultur

„Das Lebensgefühl in einem totalitären Umfeld und in einem furchtbaren Krieg erschloss sich mit großer Eindringlichkeit über die Ereignisfetzen der biographischen Gestalten – im Zentrum Dimitrij Schostakowitsch, ein eminenter Zeitzeuge des totalitären Jahrhunderts.“ DAZ

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Fotos: Stefanie Sixt